Versklavt – Ermordet – Abgeschoben


Das BARE-Bündnis fordert ein Bleiberecht für Roma* aus der Republik Moldau.
Als letzte Sklav*innen Europas hatten sie bis Mitte des 19. Jahrhunderts qua Gesetz keine Rechte. Während der NS-Zeit wurden sie systematisch ermordet. Eine strukturelle Diskriminierung wirkt bis heute nach und drängt viele Menschen in lebensbedrohliche Armut.

Berlin, 8. Februar 2023

500 Jahre wurden Roma* im historischen Bessarabien, das in etwa dem Gebiet der heutigen Republik Moldau entspricht, in die Sklaverei gezwungen. Erst 1861 wurde der bis dato legitime Handel und Besitz von Roma-Sklavinnen abgeschafft. Ausgerechnet die Sklavenhalter*innen waren es, die in der Folge eine Entschädigung erhielten.

Das Erbe der jahrhundertelangen systematischen Versklavung, Verfolgung und Ermordung wirkt bis heute nach. So hat sich in der Region das Herren-Sklavinnen-Verhältnis in das Gedächtnis von Roma und Nicht-Roma* eingebrannt. Auch die Erinnerung an den Völkermord während des Zweiten Weltkriegs, an den bis heute kaum erinnert wird, sitzt tief.

Doch sowohl die Republik Moldau als auch Deutschland ignorieren ihre historische Verantwortung: Die Rechte der Roma* werden in beiden Ländern weiterhin missachtet, gesetzliche Grundlagen werden tagtäglich verletzt.

Besonders schwerwiegend ist die Situation in Moldau, wo die Roma* massiver struktureller Diskriminierung und gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt sind. Wie Selbstorganisationen berichten und Studien festhalten, führen die Betroffenen auf Grund des tradierten sozialen wie institutionellen Antiziganismus ein Leben in existenzbedrohender Armut ohne adäquate Zugänge zu den Sektoren Bildung, Gesundheit, Arbeit und Wohnen.

„Der Ausschluss aus der Gesellschaft aus allen Lebensbereichen ist derart umfassend, dass Romnja von der Mehrheit der Bevölkerung nicht als Teil der Gesellschaft anerkannt werden“ (Kristina Holzapfel, Studie „Diskriminiert und abgelehnt. Zur Situation schutzsuchender Romnja aus der Republik Moldau“, Pro Asyl/Berliner Flüchtlingsrat, Berlin 2022).

Viele Roma* suchen in Deutschland und Berlin Schutz vor diesen vielfachen und sich gegenseitig verstärkenden Diskriminierungslagen. In Berlin ist es jedoch gängige Praxis, nahezu alle Asylanträge im Schnellverfahren als „offensichtlich unbegründet“ abzulehnen, obwohl die Republik Moldau offiziell nicht als ein sicherer Herkunftsstaat gilt.

Und auch andere Rechte der Roma* aus Moldau werden in Berlin ausgehebelt: Viele Kinder im schulpflichtigen Alter werden nicht beschult, es fehlt Zugang zur gesundheitlichen Versorgung, zur Sprachmittlung und den hierfür dringend benötigten Informationen. Bei den durchgeführten Abschiebungen kommt es oft zu gesetzeswidrigen Familientrennungen, zu Deportationen von akut und chronisch Kranken und von Menschen mit Behinderung, zu unerlaubtem Betreten von Privaträumen durch die Polizei und zu anderen Rechtsverletzungen

Aktuell leben etwa 3.200 ausreisepflichtige Moldauerinnen in Berlin, die meisten von Ihnen sind Roma. Im April, nach Auslaufen des Wintermoratoriums, befürchten wir verstärkte Massenabschiebungen nach Moldau und somit erneute Rechtsverletzungen und weitere Traumatisierungen für die Betroffenen.

Wir fordern:

  • Keine Abschiebungen von akut und chronisch kranken, schwangeren und behinderten Menschen,
    keine nächtlichen Abschiebungen,
  • Zugang zu Kitas und Schulen,
  • Zugang zu voller Gesundheitsversorgung,
  • Zugang zur Sprachmittlung und zu Informationen,
  • Ausbau einer effektiven Beratungsstruktur, angepasst auf die Bedarfe von Roma* aus Moldau,
  • individuelle Prüfung von Asylanträgen entsprechend des gültigen Rechts, keine Schnellverfahren
    sowie
  • ein Bleiberecht für Roma* aus Moldau.

Im Koalitionsvertrag der noch amtierenden Berliner Regierung wurde “angesichts der historischen Verantwortung Deutschlands für die Gruppe der Sintizze und Romnja” ausdrücklich festgehalten, dass “sich Berlin für eine bundesweite humanitäre Bleiberechtsregelung für Rom*nja-Flüchtlinge aus Drittstaaten, die schon länger in Deutschland leben, [einsetzt]”.

Wir fordern eine Ausweitung dieser Verantwortung auch auf die Nachkommen der systematischen Sklaverei und NS-Verfolgung in Moldau, die fast 80 Jahre nach dem Ende des Völkermords an Roma* und Sinti* massiver kumulativer Diskriminierung ausgesetzt sind.

Dies muss bei der Bleiberechtsgewährung von Roma* aus Moldau berücksichtigt werden. Wir sehen einen dringlichen Auftrag für den zukünftigen Senat, eine Bleiberechtsregelung auf Landesebene zu implementieren und sich entsprechend auf Bundesebene einzusetzen.

Zur Pressemitteilung


Edit: Am 10. Februar 2023 haben zwei Parteien auf unsere Anfrage mit einer Stellungnahme reagiert: DIE LINKE und Bündnis 90 / Die Grünen. Ihre Antworten sind hier zu finden:

Stellungnahme DIE LINKE | Stellungnahme Bündnis 90 / Die Grünen