Entschiedenes Handeln dringend nötig für Mieter*innen der Straße der Pariser Kommune
Sehr geehrte Frau Herrmann,
wir wenden uns an Sie als Berliner Bündnis gegen Antiziganismus und für Roma*-Empowerment (BARE) in Berlin gemeinsam mit der Berliner AG Roma und weiteren Unterstützer*innen.
Wir sind alarmiert über die noch immer ausbleibenden Lösungen für die Wohnsituation der Bewohner*innen der Straße der Pariser Kommune 20. Die Lösungsfindung läuft seit Jahren schleppend und trotz des angestrebten Sozialplanverfahrens befürchten wir, dass ungefähr 30 Familien mit Kindern kurz- und mittelfristig in die Obdachlosigkeit gedrängt werden.
Wir nehmen nicht an, dass Sie dies bewusst in Kauf nehmen und möchten Ihnen nochmal einen kurzen Überblick zur Sachlage geben und unsere dringende Handlungsaufforderung auch an Sie richten.
Ungefähr 30 Familien wohnen seit 2015 in einer sogenannten „Schrottimmobilie“ in Friedrichshain, die ihnen von einer russischen Immobilienfirma zur Verfügung gestellt wird.
Die wechselnd beauftragten Wohnungsverwaltungen kassieren überhöhte Mieten und bewirtschaften die Immobilie von Anfang an mangelhaft. Von Beginn an wurden die zuständigen Stellen auf Bezirksebene immer wieder darauf hingewiesen.
Die Chance, die Immobilie in das Eigentum kommunaler Wohnungsbaugesellschaften zu überführen, ließ der Bezirk ungenutzt verstreichen.
Im letzten Jahr entschloss sich das Konsortium, das Haus abzureißen und dort einen hochmodernen Wohn- und Arbeitskomplex zu errichten und stellte entsprechende Bauanträge. Zeitgleich versuchten sie, alle Mieter*innen zu kündigen bzw. mit Auszug Vereinbarungen bis spätestens Ende September dieses Jahres zum Auszug zu bewegen. Weder sollte Ersatzwohnraum beschafft werden, noch war vorgesehen, den Familien nach Neubau wieder Wohnraum in dem Komplex anzubieten. Mit Räumungsklagen versucht die Vermieterin auch aktuell die Mieter*innen loszuwerden.
Kaputte Heizungen in den Wintermonaten sowie massiver Austritt von Fäkalienwasser im Sommer sind dieses Jahr Beispiele für die Versäumnisse der Vermieterin mit drastischen Folgen für die Bewohner*innen. Am stärksten müssen wir die langfristig unsichere Wohnsituation der Bewohner*innen hervorheben.
Wichtig anzumerken ist, dass die Kinder der Familien in Betreuungsinstitutionen im Kiez gut eingebunden sind und sich über die Jahre ein enges vertrauensvolles Unterstützungsnetz durch Friedrichshainer Träger für die Familien etablieren ließ. Entsprechend essentiell ist der Bedarf für die Familien in Friedrichshain wohnen zu bleiben.
Seit November 2020 ist der Bezirk versucht, ein Sozialplanverfahren zu vereinbaren, um die drohende soziale Katastrophe abzuwenden. Florian Schmidt beteuerte auf einer von ihm abgehaltenen Mieter*innenversammlung, dass niemand auf der Straße landen wird, war danach aber nicht mehr für uns erreichbar.
Nach fast einem Jahr hat sich kaum etwas bewegt und wir müssen befürchten, dass die bisherigen Arbeitsweisen und Mittel nicht zu ausreichenden und rechtzeitigen Lösungen führen werden. Stattdessen müssen einige Träger beständige Zusatzarbeit außerhalb des eigentlichen Auftrags leisten, um damit die Notlagen behelfsmäßig zu kompensieren.
Mit folgenden Forderungen möchten wir uns konkret an Sie wenden:
- Vorlage einer transparenten Strategie mit Zeitplan, mit dem verlässlich sichergestellt werden kann, dass die Familien unter zumutbaren Bedingungen weiter in Friedrichshain wohnen können.
- Abwenden der angekündigten Räumungen
- Aufnahme aller Betroffenen in das Sozialplanverfahren
- Intervention bei den Verhandlungen mit der Vermieterin
Der Wohnblock der Familien in Friedrichshain ist in der Vergangenheit durch rassistisch aufgeladene Medienberichte in der Öffentlichkeit sichtbar geworden. Diese Bilder verstärken die bestehende Ausgrenzung, nicht zuletzt auf dem Wohnungsmarkt.
Viele von uns setzen sich alltäglich für die gleichberechtigte Teilhabe von und den Respekt gegenüber Roma* ein. Mit der Stereotypisierung von Roma* und Sinti* als nicht zivilisierbaren Außenseiter*innen ist unsere Gesellschaft immer noch von Antiziganismus geprägt, der teilweise auch in offenen Hass gegenüber sozial benachteiligten Romafamilien mündet.
So lange Stereotype über Roma* und Sinti* vorherrschen, ist keine gute Minderheitenpolitik möglich. Antidiskriminierung und Inklusion liegen in Ihrer politischen Verantwortung. Es ist in dieser Situation an der Zeit, Worten Taten folgen zu lassen. Dazu fordern wir Sie nun mit allem gebotenen Respekt auf.
Wir erwarten eine Antwort ihrerseits bis Ende des Monats, in der Sie uns einen proaktiven Plan vorlegen, der unserem Anliegen angemessen ist, um endlich gemeinsam an einer konstruktiven Lösung zu arbeiten.
Trotz der unhaltbaren Zustände, die uns veranlassen Ihnen zu schreiben, möchten wir ihnen einen guten Start ins neue Amt wünschen. Beweisen sie von Anfang an, dass sie die Belange aller Bürger*innen dieser Stadt vertreten.
Für das BARE Bündnis, die Runde Drom und die AG Roma:
Milena Ademovic (Sozialarbeiterin) / Kulturen im Kiez e.V. / BARE
Felix Baller (Koordination) BARE
Elvira Berndt (Geschäftsführerin) GANGWAY – Straßensozialarbeit in Berlin e.V.
Hamze Bytyçi (Gründer) BARE / RomaTrial / AG Roma
Safter Çınar (Vorsitzender) Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg / BARE
Leah Carola Czollek (Leiterin) Instituts Social Justice und Radical Diversity / BARE
Irene Eidinger (Pressereferentin) BARE
GANGWAY Friedrichshain (Jugendteam) BARE
Jahn Heidel (Leiter) KJFE Regenbogenhaus / BARE
Sabine Hermann-Rosenthal (Geschäftsführerin) Aufwind e.V. / BARE
Georgi Ivanov (stellv. Vorstand) Amaro Foro e.V. / AG Roma
Lorna Johannsen Aktionsbündnis Antirassismus / Berlin Bündnis gegen Rechts
Katja Kinder, (Geschäftsführerin) RAA Berlin e.V.
Sonja Kosche (Mitarbeiterin) Roma Informations Centrum / AG Roma
Frank Hajdu (Mitarbeiter) RAA Berlin e.V.
Prof. Dr. Hristo Kyuchukov (Vorstandsvorsitzender) Roma Zentrum für interkulturellen Dialog e.V. / BARE, /AG Roma
Christoph Leucht (Projektmanagement) Hildegard Lagrenne Stiftung / BARE
David Paraschiv (Anwohner) BARE / Aktionsbündnis Antira
Veronika Patočková, (Gründerin), BARE, / RomaTrial
Gudrun Perko (Professorin) Fachhochschule Potsdam / BARE
Milan Raković, (Geschäftsführer) Roma Informations Centrum / AG Roma
Zvonko Salijevic (Koordination) Aufwind e.V. / BARE
Sabina Salimovska (Mitarbeiterin) RAA Berlin e.V.
Petra Stupcanu (Mitarbeiterin) RAA Berlin e.V.
Paula Toader (Mitarbeiterin) RAA Berlin e.V.
Marion Wegner (Verwaltung) BARE
Berlin, 8. Oktober 2021